Sonntag, 8. April 2018
Geschichten
-Dies ist ein Ausheul-Post, eine Art anonymer Tagebuch Eintrag... oder so-

Ich glaube, jeder Mensch hat Geschichten, die einem auf irgendeine Weise wichtig sind, dir er/sie aber noch nie einem anderen Menschen, oder zumindest nur sehr wenigen erzählt hat. Sei es, weil sie einem peinlich sind, man die Erinnerung verdrängen will oder aus ganz anderen Gründen. Dies sind ein paar von meinen Geschichten. Die Kindheitsgeschichten sind weniger 'geheim', aber mir dennoch irgendwie wichtig. Warum weiß ich nicht. Andere habe ich noch nie jemandem erzählt und würde sie am liebsten verdrängen... Alles, was sich an wichtigen Geschichten in meinem Leben/meinem Kopf bisher gesammelt hat, kann ich hier natürlich nicht unter einen Eintrag bringen. Vielleicht ein ander mal... vielleicht auch lieber nicht. Naja, dann mal los. Oder so.

Als Kind hatte ich oft schlimme Albträume. Meist träumte ich davon, dass meiner Familie, meinen Freunden und/oder meinen Haustieren etwas passierte und ich niemanden retten konnte. Bis heute ist dies eine Thematik, die in meinen Träumen sehr oft auftaucht: Ich muss irgendwie wegrennen und dabei versuchen, die Menschen (und Tiere) um mich herum zu retten, allerdings immer ohne Erfolg. Ich habe wohl auch oft im Schlaf nach meinen Eltern geschrien, vielleicht ist das bei Kindern aber auch normal. Ich erinnere mich auch gut daran, wie ich nachts von manchen Albträumen wach wurde und solche Angst verspürte, dass ich meine Eltern rufen wollte, aber nichts als ein Kratzen oder Flüstergeräusch aus meinem Mund kam. Ich hatte dann große Panik, konnte mich nicht bewegen, nicht schreien. Ich fühlte mich so hilflos, begann mir vorzustellen, wie jederzeit etwas aus der Dunkelheit kommen und sonst etwas tun könnte, ohne dass ich mich bewegen oder nach Hilfe rufen könnte.
So lag ich wohl einige Minuten im Bett, mir kam es natürlich als Kind wie eine Ewigkeit vor. Ich habe mal von Schlafparalyse gelesen. Vielleicht war es das, kann man dabei noch flüstern? Vielleicht war es auch eine Art Angstzustand. Ich war schon immer ein ängstlicher Mensch gewesen. Aus Angst vor diesen Zuständen hatte ich lange große Angst vor dem Schlafen und vor Dunkelheit gehabt. (Ich sollte mal nach besseren Synonymen für 'Angst' schauen... Vier mal in zwei Sätzen, das hätte meine Deutschlehrer sicherlich nicht gefreut)
Mich würde interessieren, ob viele Kinder damit Probleme haben. Vielleicht ist das ja ganz normal. Ich bin froh, kein Kind mehr zu sein.

Ich habe, vor ein paar Jahren, mal in einem Video den Begriff "Alice in Wonderland Syndrome" gelesen und mir kurz die Definition davon durchgelesen. Plötzlich trafen mich Erinnerungen aus meiner Kindheit wie ein Schlag. Ich hatte einige Male Situationen gehabt, in denen sich der Raum und die Gegenstände, manchmal sogar die Menschen, auf die komischste Weise zu verändern schienen. Manchmal lag ich im Bett und es kam mir vor, als würde mein Bett schweben, der Raum sich vergrößern und die Möbel waren plötzlich alle riesig. Aber auch in der Schule ist es mir einige Male passiert, ich erinnere mich sogar noch sehr gut daran wie das aussah und sich anfühlte. Die Lehrerin schien plötzlich einen riesigen, cartoon-artigen Kopf zu bekommen und einen winzigen Körper, der Raum war plötzlich so lang wie eine Halle (ich saß ziemlich mittig hinten) und meine Mitschüler kamen mir unglaublich weit weg vor. Ich hatte das Gefühl ihre Stimmen nur noch sehr leise und sehr langsam zu hören, als wäre alles in Zeitlupe. Ich weiß nicht, ob ich solche "Wahrnehmungsstörungen" (oder was auch immer das war) auch in anderen Situationen hatte, aber ich hatte sie oft in meinem Bett und manchmal in der Schule, daran kann ich mich noch gut erinnern. Ich glaube, auch in diesen Situationen versuchte ich manchmal zu schreien und konnte keinen Ton herausbringen. Ich weiß nicht, wann genau mein Gehirn mit diesen "Spielchen" aufhörte, ich weiß nur, dass es nach meiner Grundschulzeit, zumindest so weit ich mich erinnern kann, nicht mehr passiert ist. Vielleicht hatte ich als Kind einfach eine sehr komisch ausgeprägte Kreativität oder so.

Als ich gerade ins Teenager-Alter gekommen war (meine armen Eltern...), war ich mit einer Gruppe Menschen "befreundet", die ich überhaupt nicht leiden konnte. Ich war eigentlich nur mit zwei Mädchen wirklich befreundet, aber sie wollten immer mit den anderen "abhängen" und ich, der ewige Mitläufer, musste ja (widerwillig) mitmachen. Ich hatte Angst vor den anderen. Ich war schon immer eher zurückhaltend gewesen und war sowieso lieber zuhause. Die Frau, die oft auf mich aufpasste, nannte mich immer eine Stubenfliege.
Jedenfalls war ich nun also Teil dieser "Clique" von obercoolen Teenies. Ich hatte da nie so wirklich reingepasst, hatte einfach (noch?) kein Interesse an cooler Kleidung, Rauchen, Trinken und der Hip-Hop-Musik entwickelt, was ja total uncool war. (Vielleicht verdanke ich es diesen Menschen, dass ich nie wirklich an diesen Dingen Interesse entwickelt habe, vielleicht war ich auch einfach nie wirklich der Mensch dafür) Ich war noch eher kindlich, trug keine teuren Hüfthosen mit Muster auf dem Po, sondern schlabbrige Pullis auf denen peinliche Motive von Cartoon-Charakteren abgebildet waren (was ja mittlerweile wieder cool ist), war pferdebegeistert und spielte immernoch gern mit Puppen. Natürlich nur heimlich.

Diese Menschen taten einige Dinge mit denen ich so gar nicht einverstanden war. Eines der Mädchen, vor der ich ganz besondere Angst hatte, redete immer mal wieder davon, andere zu schlagen oder zu verprügeln. Ich schwieg immer, wenn sie dabei war. Die anderen waren nicht viel besser. "Scherzanrufe" bei der Polizei (einige Male sogar mit meinem Handy, allerdings ohne dass ich vorher davon wusste. Unterbrochen habe ich es trotzdem nicht, weil ich dumm bin oder so), Klauen, Trinken, andere Menschen dumm anmachen. Ein Bekannter von ihnen kam ins Jugendgefängnis, warum weiß ich nicht mehr.
Ein mal zündeten sie nachts in einem Heuschuppen einen Feuerwerkskörper an. Ich, meine damalige beste Freundin und ein anderes Mädchen standen daneben und unterhielten uns. Mir war irgendwie nicht so richtig bewusst gewesen, was die anderen da taten. Vielleicht hatten sie es angekündigt, ich wusste zumindest, dass sie Feuerwerk dabei hatten. Aber dass sie nachts, ein paar Tage vor Silvester, damit rumzünseln wollten war mir klar gewesen. Warum mir nicht bewusst war, dass dies in der Nähe eines Heuschuppens total dämlich war, ist mir absolut nicht klar. (Oder war es mir doch bewusst gewesen? Manchmal frage ich mich, ob ich das nicht einfach verdrängt habe. Dumm genug war ich...)
Als unter der Tür ein buntes Licht hervortrat war meine erste Reaktion, zu lachen und zu sagen "Oh. Das sieht ja schön aus. Wie die Tür zum Wunderland." Erst danach war mir so richtig klar, was sie, nein, wir, getan hatten. Ich erinnere mich an den Rest der Nacht nur sehr schwammig, ich glaube sie hatten die Feuerwehr selbst angerufen, als ihnen auffiel, dass ein Heuschuppen LOGISCHERWEISE anfängt zu brennen, wenn man darin einen Feuerwerkskörper anzündet. Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht war auch ich es, die angerufen hat, vielleicht eines der anderen Mädchen. Dann sind die anderen weggerannt. Es kamen immer mehr Leute, um zu sehen, was passiert war. Stand ich dazwischen? Hatte ich mich versteckt? Ich weiß es nicht, erinnere mich nurnoch daran, wie der Feuerwehrwagen um die Ecke bog. Ich schwieg, fühlte mich schrecklich, weil ich nichts dagegen getan hatte. Ich hatte sogar gelacht, obwohl dabei Tiere und Menschen hätten verletzt oder sogar sterben können. Ich versuche oft, diese Erinnerung zu verdrängen. Die Schuldgefühle zerfressen mich heute noch. Zurecht. Die Tatsache, dass ich nie wirklich für diese Aktion zur Rechenschaft gezogen wurde, erscheint mir als total unfair.

Meistens waren wir zu sechst "unterwegs" (meist ja doch immer nur an der gleichen Stelle). Drei Jungs, meine zwei Freundinnen und ich. Die Jungs redeten oft darüber, welche von uns denn die "Schönste" wäre, welche sie eher daten würden, welche sie am meisten "v*geln" wollten. Ich war, natürlich, immer die letzte. Ich hatte weniger Kurven als die anderen beiden und ein unansehnliches Gesicht. Außerdem fingen zu der Zeit meine Haare an, absolut außer Kontrolle zu geraten. Ich habe Naturlocken, wusste aber nie, wie man diese richtig pflegt. Also sah ich immer extrem zerzaust aus. Dies versuchte ich zu bewältigen, in dem ich meine Haare unter einem Kopftuch versteckte oder sie sehr streng in einem Dutt nach hinten band. (Damals waren Dutts übrigens noch nicht in Mode, man trug sie nicht oben auf dem Kopf sindern streng nach unten, was an mir echt doof aussah, vor allem in dem Alter. Ich hatte mir damals gewünscht, dass man sie höher am Kopf tragen konnte ohne dumm angeschaut zu werden, so wie es die Mädchen in den Animeserien trugen, die ich gerne schaute. Nun, da war ich wohl zu früh dran.) Nimmt man dazu noch den kindlichen Kleidungsstil bekommt man das Bild eines unattraktiven Mädchens.
Wie bereits gesagt mochte ich die Jungs nicht grade gerne, ich fand sie ebenfalls sehr unattraktiv und als "V*gel"-Material wollte ich von ihnen auch nicht gerade betrachtet werden. Dennoch tat es weh, ständig zu hören wie hässlich ich sei. "Sorry, aber, du siehst halt aus wie 'ne Vogelscheuche." "Die würd' ich nich mal mit ner Zange anfassen." Nun ja, ich glaub es ist klar, was ich meine.

Aus mir unerfindlichen Gründen kam ich mit einem der Jungen zusammen. Die anderen beiden Mädchen waren mit den anderen beiden Jungs zusammen gekommen, nun war ja nurnoch ich als letzte Wahl übrig. Als er mich fragte, antwortete ich mit "Nein". Ich mochte ihn nicht und war mir sehr sicher, dass er mich auch nicht mochte. Dann wurde auf mich eingeredet. "Gib' ihm doch 'ne Chance man", "Jetzt tut er mir voll leid", "Sei doch nicht so", "Überleg es dir wenigstens". Ich gab nach und sagte, ich würde es mir noch überlegen. Schließlich stimmte ich zu. Vielleicht war es der Gruppenzwang, vielleicht hatte es sich auch einfach gut angefühlt, mir einzureden, dass jemand mich eventuell mögen könnte.
Die Beziehung bestand daraus, sich ab und zu zu umarmen und selten zu küssen, keine Romantik, nichts. Dennoch war ich irgendwie ein bisschen Stolz. Ich, die hässliche Vogelscheuche, war in einer Beziehung!

Er bemängelte immernoch immer wieder mein Aussehen, vor allem meine Haare. Ich gab mir also Mühe, kaufte ein billiges Glätteisen und glättete mir zum ersten Mal die Haare. Leider war "glatt" in meinem Fall genau so zerzaust und verwuschelt wie vorher, nur ohne Locken. Dennoch war ich total begeistert, versuchte das Volumen mit einem Haarreif ein wenig unter Kontrolle zu bringen und stolzierte zum nächsten Treffen der Gruppe. Als er mich sah, machte er große Augen. Noch bevor er mich begrüßte, sagte er:
"Oh mein Gott! Das sieht ja NOCH schlimmer aus! Lass das mal lieber!"
Die anderen lachten. Meine beste Freundin versuchte, mich zu verteidigen. Ich weiß nicht mehr, wie der restliche Tag lief. Ich fing danach wieder an, die Haare in diesem schrecklichen Dutt zu tragen.
Aber ich wollte einfach auch mal hübsch gefunden werden, ob von ihm oder jemand anderem, ich war es so satt, die Hässliche zu sein. Also versuchte ich mich "cool" zu kleiden. Ich kaufte mir ein neues Outfit: Eine schwarze Jacke mit falschem Fellkragen, Hüfthose und ein rotes Oberteil mit ganz wenig Ausschnitt (obwohl es da bei mir wirklich noch nichts zu sehen gab). Als ich die Klamotten anziehen wollte, waren einige Leute aus der Gruppe nicht da, nur mein "Freund" und sein bester Freund. Dennoch wollten die beiden mit mir "rumhängen". Sein bester Freund holte mich zu Hause ab. Er freute sich über meinen neuen Kleidungsstil und auf dem Weg zum Treffpunkt zog er plötzlich den Ausschnitt meines Oberteils mit der Hand weit nach vorne und nach unten, um zu sehen, was ich drunter anhatte. "Aha, ein rosa BH! Oh sorry, du bist mir doch nicht sauer oder?" Ich lachte gezwungen und versicherte ihm, dass ich nicht sauer war. Plötzlich fühlte ich mich in dem Outfit sehr unwohl. War es doch zu viel Ausschnitt? Die Hose zu eng? Mein "Freund" freute sich ebenfalls, als er mich sah. "Endlich machst du was aus dir", hatte er glaube ich gesagt. Wir standen eine Weile rum und redeten, während er seine Hand auf meinem Po hatte. Ich mochte das Gefühl nicht, aber wagte auch nicht etwas dagegen zu sagen. Immerhin sollte ich mich doch eher freuen, dass er mich dafür attraktiv genug fand, oder? Sein 'Kollege' fand das natürlich super, endlich "macht sie nicht mehr einen auf Kindergartenbeziehung", was auch immer das bei 12 oder 13-jährigen heißen soll...
Im Verlauf des Gesprächs fragte er mich, ob er mit der Hand 'unter meine Hose' durfte. Er war nicht aggressiv oder so, ich hätte einfach 'Nein' sagen können, mir ein paar blöde Kommentare anhören und dann mein Leben normal weiterleben können. Ich weiß nicht mehr genau, wie ich reagierte, ich weiß nur, dass ich sehr unsicher war. Sein 'Bro' fand das total cool, ich solle mich doch nicht so haben, immerhin war ich seine Freundin. (Allein schon, davon zu schreiben fühlt sich einfach irgendwie eklig an. Das ist das Wort, das in mir bei dieser Erinnerung immer wieder aufkommt: Eklig.) Nun, irgendwann stimmte ich zu. Es war nicht schlimm, er berührte mich nicht im Genitalbereich. Aber ich stand da, vor jemand anderem, in dem jungen Alter in dem alles, was mit "Sex" zu tun hat ganz peinlich ist, und ERLAUBTE jemandem, den ich nicht mal wirklich mochte, mich so anzufassen. Ich fand das total widerlich und peinlich, aber vor allem war ich sauer auf mich selbst. Immerhin hatte ich zugestimmt, habe währenddessen auch nichts dagegen gesagt. Was ich bis heute nicht verstehen kann ist, dass mein Hauptgedanke immernoch war "Vielleicht heißt das, dass ich doch nicht so hässlich bin?" Es gab noch andere Situationen mit diesem Jungen, ein Mal führte er meine Hand in seinen Schritt, nur sehr kurz, dann zog ich sie weg. Ich fand das total ekelhaft. Aber wieder hatte ich es nicht auf die Reihe gebracht, 'Nein' zu sagen. Mir ist an sich nichts schlimmes passiert, es hätte so viel schlimmer sein können und ich bin dankbar dafür, dass es nicht so kam. Dennoch kriechen diese Erinnerungen immer wieder zurück an die Oberfläche und lösen dieses schreckliche Ekelgefühl in mir aus, als müsse ich mich gleich übergeben. Mein eigener Körper fühlt sich dann so widerlich an, als wären da immernoch fremde Hände an mir. Ich habe solches Mitleid mit den Menschen, die wirklich sexuell misbraucht wurden. Ich kann mir garnicht vorstellen, wie schlimm das sein muss.
Was ich bis heute nicht verstehe, ist, warum ich nie 'Nein' gesagt habe bzw sogar verbal mein Einverständnis für etwas gegeben habe, was ich nicht wollte. Warum habe ich nicht einfach gesagt "Ich will das nicht"? Warum war ich überhaupt mit dem Typen zusammen? Warum haben wir überhaupt mit diesen Menschen Zeit verbracht, die ständig unsere Körper kommentierten und bemängelten und dachten, dass es ok ist ständig sexuelle Kommentare über uns zu machen? Warum habe ich zugestimmt? Ich bin einfach selbst schuld. An allem. Schon immer.

Ich glaube, dass es das ist, was mich an meiner eigenen Geschichte so stört. Ich trage immer selbst die Schuld daran. Wenn ich bei anderen über deren Lebensgeschichte lese oder wenn Freunde mir von ihren Erinnerungen erzählen, sind ihnen oft schlimme Dinge passiert und vieles scheint mir so unfair. Natürlich ist es gut, dass mir nichts so schlimmes passiert ist, ich beneide niemanden darum. Aber bei mir scheint alles schlechte immer auf mich selbst zurückzuführen zu sein. Es gab so viele gute Möglichkeiten in meinem Leben, die ich entweder ignoriert habe oder sonst zu unfähig war, sie anzunehmen.
"Why am I like this?"

So und jetzt kann ich nicht mehr.


Liebe Grüße an die Welt,

sonata lumina